Tausende Deutsche radeln am letzten Freitag eines Monats in der Masse, im Schwarm, im Pulk. Immer mehr radeln mit bei einer Critical Mass. Im Mai waren es etwa 11.000 Radfahrer, die in 40 deutschen Städten mitfuhren. Hamburg hatte zuletzt mehr als 5.000 Teilnehmer, Berlin mehr als 1.000, Köln und Nürnberg um die 600. In 13 Städten fuhren immerhin jeweils mehr als hundert mit, und jeden Monat kommen neue Critical Masses in weiteren Städten dazu.
Zu dem Boom beigetragen haben die sozialen Netzwerke. Über sie kann von überall her kommuniziert, informiert, sich verabredet und abgestimmt werden. Denn die kritische Masse ist, was deutsches Verkehrsrecht angeht, zwar ab 16 erreicht. Doch die gefühlte kritische Masse beginnt erst bei 60 bis 80. Dann fällt man auf, dann stellt sich aufseiten der Motorisierten Respekt ein, dann fährt man inmitten des Schwarms geborgen.
Die Critical Mass ist Party und Demo zugleich, doch in erster Linie ein großer Spaß, eine Party auf Rädern. Eine Feier der schönsten Fortbewegungsart der Welt. Des Lichts, der Nacht, des Fahrrauschs, des Lebens. Das beweist die super Stimmung bei den Ausfahrten, die Durch Lastenräder bereitgestellte Musikbegleitung. Nur sekundär, als schöner Nebeneffekt, ist Critical Mass Protest gegen eine Fußgänger und Radfahrer diskriminierende Verkehrspolitik, Demonstration für mehr Rechte für Radfahrer, für grüne Radwege, mehr Rücksicht auf den Straßen, weniger Lärm und Abgase, autofreie Städte. Denn bei den CM-Rides geht es zwar vordergründig um Spaß. Eigentlich aber wirft die einmal im Monat stattfindende Umkehrung der herrschenden Verhältnisse hochpolitische Fragen auf: wem der öffentliche Raum, zu dem die Straßen zählen, gehört. Ob er gerecht verteilt ist. Welche Verkehrsteilnehmer Privilegien genießen und wer systematisch benachteiligt wird. Ob andere Formen der Mobilitätsorganisation nicht mehr im Sinne des Gemeinwohls wären.
Die Critical Mass ist nicht organisiert und keine Demonstration, auch wenn es feste Startzeiten und Treffpunkte gibt. Die Radfahrenden verstehen sich als normaler Verkehr.
Doch stellt sich die Frage, ob öffentlicher Raum nicht dem Verkehr entzogen und ganz anders genutzt werden sollte – als Flächen, die dem Wohnen, der Erholung, der Bildung, der Freizeitgestaltung gewidmet und freigegeben sind.
Critical Mass gehört damit zu der weit umfassenderen Bewegung Reclaim the Streets.
Auch die Bridgerunners sind eine Schwarm-Bewegung, ein Lauftreff, der ebenfalls auf die Kettenreaktion durch Soziale Medien setzt (unter den Stichwörtern #bridgerunners, #bridgethegap). Auch bei den Läufern steht der Gedanke des Feierns der gemeinsamen Leidenschaft im Vordergrund. Die Grundidee ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. Und trotzdem bedeutet dies nicht, dass der Sport, bzw. die Fortbewegungsart nicht ernst genommen wird. Diejenigen, die teilnehmen, sind dem Laufsport extrem verbunden und haben große Laufleistungen vorzuweisen. Doch eine politische Aussage treffen die aus NYC stammenden Läufer, bzw. Initiatoren, erstmal nicht. Alles nur Spaß? Warum nicht? Wie gesagt, die Organisation der regelmäßigen Termine soll eine Kettenreaktionauslösen, und der Rest dann von alleine folgen…
Doch indem sie in Hunderten verschiedenen Aktionsformen laut gestellt wird, steht die Frage unweigerlich im Raum: Wie wollen wir in Städten zusammen leben? Diese Frage mit einer anderen, einer alternativen Praxis zu beantworten, dafür stehen:
#criticalmass #bridgerunners #bridgethegap #reclaimthestreets